„Eine Stärke der Vielfalt, Solidarität und kritischen Öffentlichkeit“

„Mein European Moment ist ein Moment des nicht mehr hinnehmbaren Überdrusses. Es geht mir dabei nicht so sehr um bis zur Ermüdung diskutierte Ereignisse wie die Wahl Trumps oder den Brexit. Zwei allgemeinere, aber gefährlichere Entwicklungen kann ich schlichtweg nicht mehr länger ertragen.

Auf politischer Ebene halte ich die zunehmende Rückkehr zu einer Politik repressiver Stärke, Härte und Staatsmännlichkeit nicht mehr aus. Was bei lächerlichen Bildern von Putin zu Pferd und oben ohne, polnischen wie französischen Inszenierungen um europäische und nationale Fahnen und Erdogans Satireallergie begann, hat sich zu einem fatalen politischen Klima entwickelt, in dem Minderheiten als Gefahr für die vermeintlich nationale Stärke gesehen, die Todesstrafe und Massenverhaftungen als Machtsymbole wiederentdeckt und jegliche Kritik als politische Lügen feindlicher Ideologien geächtet werden.

Deshalb gehe ich für eine gänzlich andere Stärke auf die Straße. Eine Stärke der Vielfalt, Solidarität und kritischen Öffentlichkeit, deren Kern des absoluten Primats universeller Menschenrechte nicht als Bürde oder Schwäche abgetan wird.

Auf gesellschaftlicher Ebene erschrecken mich die vielen Menschen, die nicht nur nach den vermeintlich einfachen Lösungen des oben beschriebenen Populismus rufen, sondern völlig darin überzeugt sind, wesentliche Errungenschaften des demokratischen Zusammenlebens wie Meinungsfreiheit und eine freie Presse als Instrumente politisch-korrekter Unterdrückung fahrradfahrender Großstädter zu entlarven. Wir haben im letzten Jahr einen Punkt erreicht, in dem das Wort Gutmensch negativ besetzt wurde! Gleichzeitig leben viele Millionen Menschen in Europa, die populistischen Heilsversprechen zwar nicht verfallen, aber die tagtäglichen Vorzüge europäisch-freiheitlichen und wohlhabenden Zusammenlebens genießen, ohne sie überhaupt als etwas Schützenswertes zu empfinden. Entsprechend erschüttert reagieren sie auf die furchtbare Behandlung eines amerikanischen Flugreisenden (das könnte mir ja auch passieren!), während die zeitgleichen Massenentführungen von homosexuellen Männern in Tschetschenien höchstens zur Randnotiz reichen.

Ich gehe deshalb auch auf die Straße, um, bei aller notwendigen Kritik an der EU, den unschätzbaren Wert des europäischen Projektes hochzuhalten.“

Stefan Wiechmann​, 27, aus Berlin

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